Jahrelang haben wir mit Blick auf den Cholesterinspiegel auf das Frühstücksei verzichtet und nun das: Wäre alles nicht nötig gewesen. Schlimmer noch. Cholesterin wird plötzlich nicht mehr als Gift betrachtet, sondern gilt als lebenswichtig. Zudem wurde erkannt, dass das Cholesterin aus der Nahrung kaum Einfluss auf den Cholesteringehalt unseres Blutes hat. Bitte ein Omelett!
Salz ist schlecht für den Blutdruck, Kaffee entwässert, Schokolade macht Pickel, Knoblauch reinigt die Blutgefäße, Margarine ist besser als Butter … Ernährungsweisheiten gibt es viele. Ob sie richtig sind oder falsch, wird oft nicht hinterfragt. Geht es um wissenschaftliche Erkenntnisse, sind die Menschen erstaunlich leichtgläubig. Gute Ratschläge zur gesunden Ernährung werden schnell zum Dogma erhoben.
Wer gesund und schlank bleiben will, isst fettarm und vermeidet tierische Fette – so raten uns Ärzte, Gesundheitsorganisationen und Medien. Gibt es dann doch mal einen Gänsebraten, sitzt das schlechte Gewissen mit am Tisch. Schon kreisen die Gedanken um rettende Gegenmaßnahmen: Bitterstoffe für die Verdauung, Vitamin C für die Fettverbrennung und zur Entlastung ein Reistag. Je mehr wir uns gedanklich mit gesunder Ernährung und den „guten“ und „bösen“ Inhaltsstoffen der Nahrungsmittel befassen, desto komplizierter (und gefährlicher) erscheint uns unser täglich Brot.
Schon gibt es ein neues Krankheitsbild für Menschen, die so von gesunder Kost besessen sind, das es zu negativen Auswirkungen auf ihre Lebensqualität kommen kann – z.B. zu sozialer Isolation oder quälenden Schuldgefühlen bei jeder Abweichung vom Ernährungsplan. Auch dies ist eine Form der Essstörung: Orthorexia nervosa. (griechisch: orthós = der richtige, órexi = Appetit).
(Text: H. Franke)